Fitness & Auslastung
Themen:
- Gesundes Gewicht und der Unterschied zwischen trainierter Muskulatur und Fett-Kurven
- Arbeiten an Bewegungskompetenz, Gleichgewicht und Tragkraft durch Handarbeit und Reiten in der Bahn
Gesundes Gewicht und der Unterschied zwischen trainierter Muskulatur und Fett-Kurven
Mit der Ernährung unserer gehaltenen Pferde verhält es ich wie mit einem Drahtseilakt, habe ich mittlerweile das Gefühl. Ich möchte einerseits meinen Pferden so viel Entscheidungsfreiheit und so wenig Zwang wie möglich angedeihen lassen. Doch auf der anderen Seite haben wir den extrem limitierenden Faktor, dass sie auf sehr kleinem Raum leben und wir sie von hoch kultivierten Weideflächen ernähren (müssen). Dass ist einfach der Grund, warum wir unsere Pferde eben leider doch nicht alles fressen lassen sollten, was sie grade mögen und erst Recht auch nicht in den Mengen, die sie gerne hätten. Wenn ein Pferd dick wird, wird es sehr schnell, sehr krank. Und das fällt uns erst so richtig auf, wenn es schon fast zu spät ist. Denn Pferde sind einerseits wahre Meister darin, ihre Probleme richtig lange zu kaschieren. Zudem schätzen wir Menschen eine aktuelle Gewichtssituation einfach oft falsch ein, weil unsere modernen, westlichen Sehgewohnheiten, vor allem durch Sozial Media ungünstig geprägt sind.
Was mir in den letzten Jahren bewusst geworden ist:
- Ein rundes Pferd ist nicht automatisch ein gut bemuskeltes Pferd - alles was unter der Bewegung "schwabbelt" sind Fett und Einlagerungen.
- Kräftige und geschmeidige Muskulatur kann man nicht anfüttern, die entsteht ausschließlich dadurch, dass man sie gezielt benutzt und trainiert - und das passiert auch nicht von alleine beim Grasen und auf dem Weg von der Heuraufe zum Wasser.
- Ein gehaltenes Pferd, dass nur auf der Wiese und bei Spaziergängen rumbummelt, kann genauso an Trageerschöpfung leiden, wie ein schlecht oder total übertrainiertes Pferd.
- Ist der Organismus einmal metabolisch gestört/ erkrankt, geht das nie wieder "auf Werkseinstellung" zurück. Man muss ein Leben lang entsprechendes Fütterungs- und Trainingsmanagement betreiben.
Ich kann das so sicher sagen, weil ich das mit meinen Pferden selber durchexerziert habe. Erklären und Bebildern werde ich das anhand von Rafah.
Rafahs Gewichts-Historie als Beispiel
Es gab einige Jahre, in denen war ich extrem überzeugt vom "Academia Liberty-Fütterungsmanagement". Der Kern bei der Sache war, das Pferd kann, darf und soll uneingeschränkt selbst bestimmen, was und wie viel es isst und das Pferd zu mehr extra Bewegung bringen, ist nicht erwünscht, außer spazieren gehen vielleicht. Reiten geht aber gar nicht, denn das ist nur Zwang und schadet dem Pferd auf jeden Fall physisch wie psychisch. Das Ergebnis seht ihr auf dem ganz rechten Bild, Rafah mit 4 Jahren, viiiii....iiiieeel zu fett und mit ihrem ersten, leichten Hufrehe-Schub.
Dadurch habe ich angefangen, wieder neu umzudenken. Trotzdem bin ich froh, diese Erfahrungen in der Richtung selbst gemacht zu haben, denn ich habe in den Jahren sehr, sehr viel von, mit und über die Pferde gelernt.
Mittlerweile bin ich ein bisschen Fan von Pferdewissenschaftlerin Conny Röhm. An ihrem TWI – Tierwissenschaftliches Institut kann man sich in Online- und Präsenz-Vorträgen wunderbar zu vielen Themen und besonders zum Thema Fütterung und weiterbilden. Ausdrückliche Empfehlung von mir, schaut da unbedingt mal rein. Es gibt auch sehr viel kostenlosen Podcast-Content von ihr auf Youtube.
Rafah hat nach der All-You-Can-Eat-Phase ordentlich abgespeckt, durch das massive Einschränken bzw. Weglassen von energie- und zuckerreichem Futter und natürlich durch Sport - u.A. physiotherapeutische Handarbeit zum etablieren gesunder Bewegungsmuster und sie ist neben Spaziergängen auch viel am Fahrrad gelaufen.
Dann hat sie 6jährig ihr erstes Fohlen bekommen und auf dem ganz linken Bild seht ihr sie im 3. Monat der Laktation (August 2024), echt mega dünn für meine Sehgewohnheiten, aber eigentlich nicht zu dünn. Sie ist nur nicht gut bemuskelt, weil sie die ersten Monaten mit ihrem Sohn einfach so genießen durfte, ganz ohne Arbeit und er sie natürlich auch ordentlich ausgenuckelt hat.
Nachdem ich ihren Sohn im 9. Lebensmonat von der Milchbar abgesetzt habe, durfte sie noch weitere 2 Monate mit ihm zusammen verbringen, bevor ich ihn schließlich zu einer guten Freundin gebracht habe, wo er zusammen mit einem weiteren Junghengst und einem starken, erwachsenen Wallach groß werden darf. Seitdem wird Rafah nun deutlich intensiver gearbeitet, mit Fokus auf einen gesunden Muskelaufbau und "Meter`s machen".
Denn alle Organfunktionen und Stoffwechselprozesse sind beim Pferd von der Bewegungsmenge abhängig. Mehr Bewegung, also mehr Schritte, bedeutet mehr Blutumtrieb (lest dazu Basiswissen Hufgesundheit), bedeutet wiederum optimaler stattfindende biochemische Prozesse. Bewegung ist das A und O! Nebenbei muss man unbedingt aber auch schauen, macht mein Pferd gesunde Bewegungen oder schruppt es nur krumm und schief auf der Vorhand durch die Weltgeschichte - was uns dann auf anderer Ebene Probleme beschert. Das geht man dann parallel vor allem mit guter Handarbeit an.
Wie Conny Röhm in einem Podcast so schön sagte,
"Wir sind hier nicht bei Wünsch dir was, sondern bei ist so!"
Nach und nach bilde ich sie nun selbst auf dem Bückeburger Weg reiterlich aus und arbeite sie weiter viel in der Handarbeit, wir gehen auch nach wie vor viel spazieren (zwischen 8-15 km pro Tour), sie geht mehrmals die Woche am Fahrrad (zwischen 10-20 km pro Tour / ACHTUNG: Das Pferd am Fahrrad führen ist natürlich nicht so ganz erlaubt und auch nicht versichert!) und wir machen auch mal einen zügigen Ausritt durch die Felder oder einen schönen Wald (ca. 10-15 km, aber mit Absteigen und Führen-Pausen). Ich habe den Fokus also auf vielseitige Aktivitäten, die mal die Koordination & Tragkraft fördern, mal Schubkraft und Kondition. Dabei will ich aber auch nicht zu oft auf ihrem Rücken rumturnen und wichtig ist ebenfalls, dass wir mal zusammen die Seele baumeln lassen, damit die Motivation und der Spaß an den sportlich fordernden Tagen erhalten bleibt. Und nicht zuletzt auch grade wegen Rafahs MIM-Diagnose komme ich nicht drum rum, sie nahezu täglich achtsam und mit Plan zu bewegen und zu trainieren.
Den aktuellen Stand (Juni 2025) seht ihr auf dem mittleren Bild - Rafah ist hier noch kein volles Jahr "unterm Sattel" und wir haben immer noch unsere Fettbeulen vor der Schweifrübe und Einlagerungen an den Flanken (die kommen von unserem nicht so optimalen Weidegras). Aber man sieht sie auf den Fotos kaum noch und wenn sie sich kraftvoll in den Seitengängen bewegt, sieht man richtig schön die Muskulatur arbeiten. Wir sind also aktuell glaube ich auf einem guten Weg, wobei ich mir nun auch angewöhnt habe, immer alles kritisch zu hinterfragen, denn auch jetzt habe ich "aktuelle Sehgewohnheiten", die mich sicher nicht ganz objektiv urteilen lassen.
Ich hoffe, ich konnte euch mit Rafahs Beispiel helfen, eure eigene Situation besser einzuschätzen.
Arbeiten an Bewegungskompetenz, Gleichgewicht und Tragkraft durch die Handarbeit und das Reiten in der Bahn
Pferde haben eine Händigkeit, genau wie wir Menschen. Das bedeutet, sie laufen bevorzugt mit einem bestimmten Bein los und belasten beim Stehen ein bestimmtes Beinpaar mehr als das andere. Das wirkt sich schonmal enorm auf die Hufe aus (High-Low-Hufe). Der mehr belastete Huf wird flacher sein (Vom Mehrgewicht platt gedrückt), als der weniger belastete Huf (kleinerer Durchmesser, höhere Trachten, ev. Bockhuf). Hieraus resultieren u.A. auch Fesselträgerschäden. Das am stärksten/meisten belastete Bein gibt zuerst auf.
Dann haben Pferde eine "hohle Seite". Das bedeutet einfach, dass die Wirbelsäule von oben betrachtet nicht ganz gerade ausgerichtet ist, sondern leicht gebogen. Das hat unter anderem etwas mit der Organverteilung zu tun, z.B. liegt der riesige Blinddarm auf der rechten Körperseite. Die hohle Seite ist die, wo dein Pferd immer ganz easy rum kommt mit dem Kopf/Hals/ganzen Körper. Zur anderen Seite tut es sich dagegen eher schwer mit Stellung, Biegung oder einfach nur dem Abbiegen. Wir nennen sie darum oft "die schlechte Seite". Die Steifigkeit zur einen Seite begründet sich aber in der hohlen Seite. Die Faszien und Muskeln auf der hohlen Seite sind verkürzt. Es ist ihm ohne regelmäßiges, physiotherapeutisches Training gar nicht möglich, sich genauso gut auf die andere Seite zu biegen.
Als Pferdehalter/ Reiter solltest du die Händigkeit deines Pferdes kennen und auch wissen, welches seine hohle Seite ist.
Denn wenn du dein Pferd gesunderhaltend arbeiten und fördern möchtest, liegt die oberste Priorität darin, an Händigkeit und Schiefe zu arbeiten. Das ist gemeint mit "Das Pferd gerade richten".
Muskeln und Faszien auf der hohlen (steifen) Seite flexibler machen, so dass sich das Pferd zu beiden Seiten selbstständig und ehrlich Stellen und Biegen kann und üben, dass das Pferd beide Vorder- bzw. Hinterbeine gleichermaßen belastet/ benutzt.
Und das erreicht man meines Erachtens nicht über Tempo machen im vorwärts-abwärts und auch nicht mit oder ohne Reiter, an der Longe oder im Gelände. Neue, gesündere Bewegungsabläufe erlernt auch in der Humanphysiotherapie niemand über Tempo. Da läuft alles sehr langsam, mit Bedacht und kontrolliert ab. Bewegungsmuster üben, bis sie in Fleisch und Blut übergehen. Dann kommt erst mit der Zeit das Tempo von alleine zurück und man kann den Schwierigkeitsgrad oder das Gewicht, mit dem man trainiert, steigern.
Genau so arbeite ich in der Handarbeit - ich nenne es darum physiotherapeutische Handarbeit. Das kann man am Halfter machen oder an der Trense. Man steht ganz nah am Pferd, hat beide Zügel in der Hand und ev. eine Gerte und dann macht man zusammen mit dem Pferd, ganz langsam, eigentlich ganz einfache Übungen in Slow Motion.
Wobei ich sagen kann, die Menschen haben genauso ungenügende Bewegungskompetenzen, wie ihre Pferde. Sich kontrolliert, kraftvoll und gesund bewegen muss erlernt werden, von Mensch und Pferd.
Als Voraussetzung für die Handarbeit muss das Pferd zuverlässig auf reine Stimmkommandos angehen, anhalten (und ruhig stehen bleiben!) und einen flexiblen Kiefer haben im Stand und in der Bewegung, also nicht die Zähne zusammen beißen vor Stress oder Schmerz oder weil ihr ein zu enges Nasband oder gar einen Sperriemen drum habt.
In der Online-Akademie der Bückeburger Hofreitschule gibt es Seminaraufzeichnungen zu den Abkau-Übungen und wie man dem Pferd das Gebiss erklärt und die Nachgiebigkeit im Genick schult.
Die Ausgangsposition für den Pferdekopf in der Bewegung sollte dabei Ohren leicht über Wiederristhöhe sein.
Erste Übungen sind dann z.B. im Schritttempo geradeaus verschiedene Kopf-Hals-Höhen einzustellen, ohne dass das Pferd das von dir vorgegebene Tempo verändert und das Pferd ganz gezielt auf einem bestimmten Vorderbein anhalten zu lassen (eben nicht auf seinem sonst bevorzugten).
Des weiteren erst im Stand und später in der Schrittbewegung geradeaus Stellung nach Links und Rechts üben.
Wenn das klappt, sind die klassischen Seitengänge, Schulter herein und Kruppe herein/ heraus dran.
Gleichmäßiges, taktvolles rückwärts Richten sowie langsames, kontrolliertes Übertreten auf der Volte sind wahre "Gamechanger", finde ich.
Durch diese Übungen hat Rafah innerhalb von 6 Monaten an der Hand gelernt, ihren Rumpf auf ein Stimmkommando hin anzuheben. Das kann man dann später unterm Sattel auch wieder Nutzen.
Das Erlernen des spanischen Schrittes ist auch eine überaus effektive Übung zum Training der Rumpfmuskulatur und es macht den Pferden auch riesigen Spaß, so prollo-mäßig stolzieren zu dürfen.
Später kann man dann in allen Übungen den Trab dazu nehmen und gaaanz viel später dann den Galopp.
Wenn die Übungen in der Handarbeit im Schritt klappen, fängt man an die gleichen Sachen auch zu reiten. Natürlich wieder angefangen bei der kleinsten Schwierigkeitsstufe.
So eine Arbeitseinheit an der Hand sollte grade zu Anfang, wenn eine Übung ganz neu ist, nie länger als 10 Minuten sein. Ihr könnt besser 2-3 so kurze Einheiten am Tag machen, als eine Lange. Ihr werdet sehen, dass ist mental wahnsinnig fordernd für die Pferde. Und Pausen sind enorm wichtig! Innerhalb der 10 Minuten Einheit und auch mal einen Tag ganz pausieren. Das Verarbeiten der Reize findet in der Pause statt.
Neben dem geführten und gerittenen Training massiere ich Rafah auch regelmäßig, besonders nach größeren Belastungen wie einem Ausritt. Aus trainingsphysiologoscher Sicht sollte nach einem großen Reiz eine Pause kommen. Das sind für uns zwei Tage Wellness mit leichter Handarbeit oder einem Spaziergang.
Ich hoffe, ich konnte euch mit meinen Ausführungen inspirieren und motivieren. Macht was schönes mit euren Pferden. Wenn ihr es klug und verständlich aufbaut, werden sie auch Freude daran haben und gesundheitlich enorm davon profitieren!